Posse um den „Stolzmonat“: Wie ein cleverer Aktivist die rechte Szene foppte (2024)

Europaweit Wortmarke gesichert

Posse um den „Stolzmonat“: Wie ein cleverer Aktivist die rechte Szene foppte

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„,Stolzmonat‘ ist unser Wort“: Aktivist und Influencer Fabian Grischkat (23).

Quelle: Markus Haner

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Wem gehört der „Pride Month“? Rechte Kreise versuchen seit Langem, den Juni unter dem Begriff „Stolzmonat“ für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Nun hat sich ein queerer Aktivist das Wort europaweit als Marke gesichert. Die Schadenfreude ist groß.

Stell dir vor, du bist Nazi – und schon wieder hast du den Anschluss verpasst: Da versuchst du in der rechten Szene seit Jahren, das deutsche Wort „Stolzmonat“ als germanisiertes Gegenstück zum queeren „Pride Month“ zu etablieren.

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Und dann schnappt dir ein cleverer, queerer Influencer das Wort vor der Nase weg und meldet es europaweit als Wortmarke an. Und raus bist du.

Auch AfD-Scharfmacher Björn Höcke beteiligte sich am „Stolzmonat“

Mit dem „Stolzmonat“ – entstanden vor einigen Jahren in Österreich als Antwort auf den regenbogenbunten „Pride Month“ der LGBTQ-Bewegung – mobilisieren Rechtsextreme im Juni im Netz ihre Trollarmeen gegen Solidarität mit queeren Menschen. Nazis und Anhänger rechter Parteien versehen ihre Social-Media-Profile in sozialen Medien analog zu den Regenbogenflaggen mit Deutschlandfahnen, um den Aktionsmonat im Sinne eines toleranzfreien „Patriotismus“ zu torpedieren. Auch AfD-Scharfmacher Björn Höcke schloss sich an.

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Niemand jedoch hatte die Rechnung mit Fabian Grischkat gemacht.

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„Warum sollte der ‚Stolzmonat‘ ein Spielball der Rechten und extrem Rechten sein?“: Aktivist und Influencer Fabian Grischkat (23).

Quelle: Markus Haner

Den 23-jährigen Youtuber, Influencer und Aktivisten wurmte die Vereinnahmung des Wortes durch rechte und rechtsextreme Aktivisten schon länger. „Im Juni letzten Jahres war X, ehemals Twitter, plötzlich voll mit Deutschlandflaggen“, sagt er. „Und ich dachte: Hab ich irgendein Fußballspiel verpasst? Bis ich merkte: Hier passiert etwas, was mir gar nicht gefällt.“ Schnell zeigten sich Verbindungen zur AfD. Hinter dem „Stolzmonat“ steckt unter anderem „Shlomo Finkelstein“, so lautet das Pseudonym eines rechtsextremen Influencers, der gegen das – wie er sagte – „Dominanzsignal einer zahlenmäßig kleinen, aber in Presse und Politik sehr mächtigen ideologischen Gruppierung“ vorgehen wollte.

Ab sofort „gehört“ das Wort nicht mehr den Rechten

Im Januar nahm Grischkat im notorisch unruhigen Netz neue Nervosität wahr. Die Strippenzieher der rechten Szene rüsteten sich für die jährliche „Stolzmonat“-Kampagne. Parallel erlebte die AfD ein Umfragehoch. „Alle hatten das Gefühl: Wir müssen etwas tun“, sagt Grischkat. Er ließ sich von Juristen zu der Frage beraten, ob sich das Wort „Stolzmonat“ als Wortmarke schützen ließe. „Und wir waren dann ganz überrascht, dass mehrere Juristen sagten: Ja, das könnten wir machen.“

Wir wollten uns den Begriff ‚Stolzmonat‘ zurückzuholen. Es ist unser Wort. Es kommt aus unserer Community. Es ist unser Monat. Es ist die reine deutsche Übersetzung des Pride Month. Warum sollte der ‚Stolzmonat‘ ein Spielball der Rechten und extrem Rechten sein?

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Also erhob Grischkat kurzerhand Anspruch auf das Wort. Zuständig ist das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) im spanischen Alicante. Die Schutzdauer einer europaweit gültigen „Unionsmarke“ beträgt zunächst zehn Jahre und kann beliebig oft um jeweils weitere zehn Jahre verlängert werden. Unterstützt wurde er von der Media Force GmbH aus Mönchengladbach, einer „Kampagnen-Agentur zur Rettung der Demokratie“, die sich nach eigener Darstellung „für eine stabile demokratische Diskurskultur in sozialen und klassischen Medien“ einsetzt.

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„Die Reaktionen sind überwältigend positiv“: T-Shirt aus der „Stolzmonat“-Kollektion von Fabian Grischkat. Der Erlös geht an die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die sich gegen die Diskriminierung der LGBTQ-Bewegung einsetzt.

Quelle: @markushaner

„Wir wollten uns den Begriff zurückzuholen“, sagt Grischkat. „Es ist unser Wort. Es kommt aus unserer Community. Es ist unser Monat. Es ist die reine deutsche Übersetzung des Pride Month. Warum sollte der ‚Stolzmonat‘ ein Spielball der Rechten und extrem Rechten sein?“

Erlöse aus T-Shirt-Verkäufen werden gespendet

Seither verkauft Grischkat unter dem Motto T-Shirts mit Slogans wie „Queer & Proud“ und den Gesichtern von Ikonen der Bewegung. Warum? Erstens, um sich dem Vorwurf zu entziehen, mit der Marke gar nichts zu unternehmen. Zweitens: um Spenden zu generieren. Die Erlöse gehen an die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die der gesellschaftlichen Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Personen in Deutschland entgegenwirkt. Die T-Shirts selbst spendet das Kölner Modelabel Armed Angels. „Unsere Materialkosten sind minimal.“ Sein Ziel: „Wir wollen das Wort auf Jahre hinaus nutzen – für soziale, queere und bildungsfördernde Projekte.“

Das Markenrecht ist komplex. Längst nicht jeder Begriff ist schützbar. „Stolzmonat“ aber erfüllte einige wichtige Kriterien: Das Wort ist nicht beleidigend oder volksverhetzend, es steht nicht im Duden und ist damit verhältnismäßig neu, es ist nicht missverständlich, und es ist kein allgemein kombinierter Sammelbegriff wie „stolzer Monat“ oder „Monat des Stolzes“. „Es funktioniert nur in dieser Schreibweise“, sagt Grischkat. „Wir hätten uns so etwas wie ,kalter Frühling‘ oder ‚warmer August‘ nicht schützen lassen können.“

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Demokratie-Radar

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Es gehe nicht darum, jetzt Menschen abzumahnen, die „Stolzmonat“ verwendeten. „Das sieht das Marken- und Patentrecht so auch gar nicht vor“, sagt er. „Ich würde mich abends nicht zufrieden ins Bett legen können, wenn ich denke: Cool, wir haben wieder einen abgemahnt.“ Missbräuchliche Verwendung würde schnell zum Lizenzentzug führen.

Das rechte Lager legt Widerspruch ein

Das rechte Gegenlager ist irritiert. Am Samstag erging offiziell Widerspruch beim Marken- und Patentamt. Federführend ist dabei der Anwalt Sascha Schlösser, AfD-Kandidat bei der Europawahl und Stadtrat in Erfurt. „Stabile Beflaggung hier in Erfurt!“, twitterte er am Samstag zu einem Bild von sich selbst neben einer Deutschlandfahne. „Es kann nur einen geben! Es gibt nur einen #Stolzmonat!“

„Diese Anfechtung hat uns schon überrascht“, sagt Grischkat. „Aber wir lassen uns nicht aus dem Konzept bringen. Die Reaktionen sind überwältigend positiv. Natürlich wollten wir auch in den rechten Kreisen für Furore sorgen. Das ist offenbar gelungen.“

Ein cleverer Nadelstich gegen rechts

Der 23-jährige Grischkat ist seit mehr als einem Jahrzehnt bei Youtube aktiv, betätigt sich aktuell vor allem als „Newsfluencer“ bei Instagram und Tiktok, engagierte sich bei Fridays for Future und Greenpeace und moderiert regelmäßig Veranstaltungen wie den Empfang der baden-württembergischen Landesregierung zum Christopher Street Day.

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Der „Rückdiebstahl“ der Wortmarke „Stolzmonat“ mag nur ein kleiner, cleverer Nadelstich gegen rechts sein. Aber die Aufregung, die die Aktion bei den Verfassungsfeinden ausgelöst hat, zeigt, wie verärgert man dort ist. Das Wort „Stolzmonat“ gehört aber nicht den hom*ophoben Feinden der Freiheit, sondern ihren Verteidigern.

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